Der Rottweiler gehört zu den Hunderassen, welche aus meiner Erfahrung in der Praxis häufig als Dienst- oder Sporthunde eingesetzt werden. Sie weisen eine gute Trieblage auf und benötigen einen erfahrenen Hundeführer. Als kleiner Bub kann ich mich gut an einen Rottweiler-Besitzer erinnern, welcher in die Praxis meines Vaters kam und erzählte, wie er seinen Hund auf Mann trainierte und wie wichtig es sei, den Hund mit strammer Hand zu erziehen. Während der Besitzer dies sagte, hatte er ein Strahlen in seinen Augen. Das war in den 70-er Jahren des letzten Jahrhunderts, liegt also mehr als 40 Jahre zurück!
In der Zwischenzeit hat sich einiges geändert. Der ganze Hundesport wurde moderner und auch schneller, was auch bei dieser Rasse angekommen ist. In diesem Artikel geht es aber nicht um die Entwicklung der Rasse Rottweiler, sondern viel mehr um die Orthopädie; in diesem Artikel genauer um die Hüftgelenksdysplasie und vor allem um die Folgen dieser. Da dieses Thema sehr komplex ist, werden wir in einem folgenden Artikel noch Ergänzungen anfügen, um diesen ersten Teil nicht zu überladen.
Unter Dysplasie versteht man vom Wort her zwei Silben; dys = schlecht und plasia = Formgebung. Somit ist die Übersetzung von Hüftgelenksdysplasie = schlechte Form des Hüftgelenks. Dies entspricht auch dem Wesen der Hüftgelenksdysplasie, welche zu klinischen Symptomen wie schlechte Bewegung und Probleme beim Aufstehen führt. Einerseits werden die Arbeitsleistungen des Hundes und allenfalls auch das Wesen aufgrund von Schmerzen bedeutend beeinträchtigt.
Nach Köppel 1991 wird unter Hüftgelenksdysplasie die veränderte Form und Tiefe des Hüftgelenks verstanden, seltener die Veränderungen des Oberschenkelkopfes.
Nach Flückiger 1996 ist die HD eine genetisch- und umweltbedingte Fehlbildung des Hüftgelenks, die als abnorme Gelenklockerheit sowie Formveränderungen der Hüftpfanne und/oder des Oberschenkelkopfes verstanden wird.
Nach Powers 2004 wird die HD als komplexe polygenetische, multifaktorielle Erkrankung dargestellt, welche eine Osteoarthose der Hüfte nach sich zieht. Krüger 2010 relativiert diese These wiederum mit der Aussage, dass die verschiedenen Formen der HD nicht zwingend eine Coxarthrose (Hüftarthrose) mit sich bringen müssen. Es gibt Rassen, die haben ein Vorkommen von HD von 70%, beispielsweise die English Bulldog, und leben praktisch einwandfrei mit dieser HD, zeigen also keine klinischen Symptome wie Aufstehbeschwerden, Hinken, Mühe bei der Treppe und andere.
Aus diesen Ausführungen sehen Sie nun, dass sich die Autoren nicht einig sind und vor allem nicht eine eindeutige Definition der HD zu beschreiben ist. Man ist sich aber sicher, dass die HD eine polygenetische (mehrere Gene) sowie eine multifaktorielle Erkrankung ist, wobei die Umweltfaktoren Ernährung und Bewegung die größte Stellung einnehmen. Wie oben erwähnt sind die klinischen Symptome bei den verschiedenen Rassen sehr unterschiedlich, dennoch ist es wichtig, die HD aus zuchthygienischen Maßnahmen im Auge zu behalten.
Der Rottweiler nimmt auf der Ranking-Liste der OFA den Platz 30 ein mit einem Vorkommen der HD von 20,3 %, als Vergleich der Deutsche Schäferhund liegt bei 19% und die Englische Bulldogge bei 72%. Somit ist der Rottweiler im ersten Fünftel dieser Liste angesiedelt, was bedeutet, dass diese Rasse oft mit der HD zu tun hat. Dies ist nicht erstaunlich, da der Rottweiler letztlich eine große und schwere Hunderasse ist.
Interessant ist aber auch die Tatsache, dass eine kleine Hunderasse wie der Mops eine Häufigkeit von 66% bei der HD aufweist und somit Platz 2 im Ranking einnimmt. Diverse Autoren sind der Meinung, dass bei kleinen Hunderassen die klinischen Symptome übersehen werden, nicht vorhanden sind oder aus Unkenntnis dieser Tatsache ignoriert werden. Andere Autoren wiederum sind der Ansicht, dass die HD auch bei den kleinen Hunderassen die gleiche klinische Manifestation wie Hinken, Schmerzen, komische Bewegung, Mühe bei der Treppe etc. auslöst.
Als möglichen Erkennungsfaktor für die HD-Häufigkeit können wir den BMI erwähnen (Body Mass Index = Verhältnis Gewicht:Schulterhöhe). Je höher dieser Index, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit für HD. Auch hier gibt es Ausnahmen: Der Cane Corso sowie der Gordon Setter haben eine grösser Häufigkeit der HD als der BMI dies erwarten lässt.
Als zweiten Indikator können wir das Längen-/Höhenverhältnis erwähnen. Dieses hat ebenfalls eine Aussage auf die Häufigkeit der HD.
Die Hüftgelenksdysplasie gehört zu den Erbkrankheiten. Es gibt mehrere Gene, welche die HD verursachen, somit sprechen wir von einer polygenen Vererbung. Dadurch gibt es keine klare Zweiteilung der Hundepopulation, sondern eine kontinuierliche Variation, also fliessende Übergänge in der Ausprägung der Erkrankung. Bei den Genen sprechen wir von Hauptgenen mit starkem Einfluss, sowie Nebengenen mit einem geringeren Einfluss.
Der Erbgang ist ebenfalls multifaktoriell, was bedeutet, dass neben den Genen auch Umweltfaktoren Einfluss nehmen. Darunter zählen vor allem die Ernährung und die Bewegung. Auch über das Thema „Ernährung und HD“ haben bereits viele Autoren kontroverse Artikel publiziert. Deshalb konzentrieren wir uns auf das Thema „Bewegung im Zusammenhang mit HD“.
Verschiedene Fachleute sehen in einem Mangel an Beckenmuskelmasse einen kausalen Zusammenhang der HD. Und somit sind wir direkt beim Thema der Bewegung. Diese Arbeiten werden, wie andere Thesen bei der Hüftgelenksdysplasie, sehr uneins diskutiert. Einige Autoren haben sich diesem Thema angenommen, unter anderem Riser u. Miller 1966; Denny u. Butterworth 2000; Morgan 2000; Olmstead 2006; Die These: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Beckenmuskelmasse sowie dem Vorkommen der HD. Zu diesem Zweck wurden drei Gruppen von Rassen untersucht. Der Greyhound, gewöhnlich HD-frei, der Deutsche Schäferhund mit einer mittleren Befallsquote an HD, sowie einer Rasse mit praktisch 100% HD, die Rasse Foxhound. Diese Spezialisten kamen zu dem Schluss, dass dieser Beckenmuskelmasse-Index signifikant verantwortlich sei für das Auftreten von HD einerseits und anderseits sind diese Autoren der Auffassung, dass dieser Beckenmuskelmasse-Index rein genetisch sei. Beim Greyhound liegt dieser Index bei 14,6, beim Deutschen Schäferhund bei lediglich 11,1. Dies würde das erhöhte Vorkommen der HD erklären, da der Oberschenkel durch die fehlende Muskulatur weniger in das Hüftgelenk gepresst wird und somit das Risiko für die HD steigt.
Zu diesem Thema zeigen wir die Untersuchung von den Hüftgelenken zweier Wurfgeschwister mit Umfang der Beckenmuskelmasse. Der Rüde hat einen Beckenmuskelumfang von 29 cm, die Hündin von lediglich 28 cm und die Hüfte erscheint lockerer. Somit ist offensichtlich, weniger Muskulatur drückt den Oberschenkel weniger stark in die Pfanne, wodurch die Lockerheit in der Hüfte grösser ist. Somit wäre dies ein Hinweis für die größere Tendenz zur HD.
Ein Rottweiler mit einem Gewicht von 35 – 40 kg im Alter von 8 Monaten sollte einen Umfang von ca. 53 cm Muskulatur aufweisen. Dies ist natürlich nur ein Richtwert und ist stark abhängig von Größe, Typ und Gewicht.
Zusammenfassend kann man festhalten, dass wohl die Beckenmuskelmasse abhängig ist vom Genotyp. Wie schnell und wie gut sich die Muskulatur entwickelt und anwesend ist, ist jedoch abhängig von der Ernährung (Reinheit der Proteinquelle) und vor allem von der Qualität und Quantität der Bewegung. Leider wird dieser Punkt bei den Welpen in den Hintergrund verdrängt. Auch beim Training des erwachsenen Hundes spielt dieses Thema eine Rolle. Ein gezieltes Training kann innerhalb von 6 Wochen die Mitochondrien (Kraftwerke) der Muskulatur um 40% steigern und damit auch das Volumen der Muskulatur. Diese beiden Parameter sind somit wichtig, um das Hüftgelenk zu formen, zu stabilisieren und damit folglich das Vorkommen von HD aus umwelttechnischen Gründen zu minimieren. Dieser Prozess muss überwacht und koordiniert werden. Für Sie als Hundebesitzer wird dann erkennbar, wie sich der schwammige Gang beim Welpen aus Hüfte und Knie reduziert und die Kraft der Hinterhand enorm zunimmt. Genau diese Fragen beantworten wir im Rahmen des „Welpenpasses“, darüber hinaus sind sie nun auch weiter Gegenstand einer wissenschaftlichen Forschungsarbeit über den „orthopädisch-kinematisch-kontrollierten Welpenaufbau“. Im Herbst werden wir diesen Bereich in dieser Serie etwas genauer unter die Lupe nehmen.
Als letzten Punkt bezüglich Zusammenhang Wachstum und HD ist die Beckenform zu beachten. Eine veränderte Beckenform trägt maßgeblich zur Ausbildung einer HD bei. Eine veränderte Beckenform ist dann gegeben, wenn der Bereich zwischen Darmbeinschaufel sowie Sitzbein zu eng ausgebildet ist. Die Hüftgelenkspfanne (Acetabulum) wird durch Darmbein, Sitzbein und Schambein gebildet. Treten hier Veränderungen in der Verknöcherung oder grundsätzlich im Wachstum auf, hat dies einen maßgeblichen Einfluss auf die Überdachung des Femurs (Oberschenkel). Dadurch entsteht eine HD. Es besteht wiederum ein genetischer Zusammenhang zwischen Ausbildung der Beckenform und der HD. Im folgenden Röntgenbild sehen Sie eine zu enge Beckenform und die damit verbundene schlechte Überdachung des Femurkopfs.
Als Sonderform dieser veränderten Beckenform wird der Übergangswirbel betrachtet. Ein asymmetrischer Übergangswirbel verursacht eine Rotation im Becken, da der Übergangswirbel im direkten Kontakt mit der Darmbeinschaufel des Beckens steht. Durch veränderte biomechanische Druck- und Zugkräfte verkippt das Becken und eine Entstehung einer HD ist begünstigt. Dies ist im folgenden Röntgenbild eindrücklich dargestellt.
Hier gibt es keine Möglichkeit dies zu verhindern. Dies ist genetisch. Ein Übergangwirbel bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass es zu einer HD kommt.
Es lässt sich zusammenfassen, dass die Beckenform wohl eine genetische Komponente aufweist. Durch schnelles Wachstum, durch allzu ruppiges Spielen oder Stürze und Bodychecks wirken am Becken mit den Wachstumsfugen sehr viele Scherkräfte, die ebenfalls veränderte Druck- und Zugkräfte im Becken hervorrufen können und somit Einfluss auf die Überdachung des Acetabulums haben. Durch den Welpenpass, vor allem durch den orthopädisch-kinematisch-kontrollierten Check up, können wir diese veränderten biomechanischen Komponenten aufzeigen und korrigieren, wenn die Biomechanik an den Knochenanteil korrigiert werden, und die Korrektur wiederum kinematisch darstellen. Anschließend sollte ein guter und gezielter Muskelaufbau diese Veränderungen stabilisieren und dementsprechend dieser externen, umweltbedingten Komponente Einhalt geboten werden.